Freitag, 15. November 2013

Rajgad


Seit Wochen schon herrscht im BSSK eine ungewohnte Unruhe: Busunternehmen werden ausfindig gemacht, Anmeldungen überprüft, Geld gesammelt – und immer wieder dieses mysteriöses Wort: Rajgad Trek.

Auch wenn wir nicht genau wussten, was auf uns zukommen wird, haben wir begeistert genickt, als wir gefragt wurden: „Ausflug? Trek? Wandern? Klar doch!“

Erst nach und nach wurde uns bewusst, auf was wir uns eingelassen haben: Bergsteigen. In der Oktoberhitze. Mit Gleichaltrigen. Und den Social Workern, für welche es der 15. Trek ist.

Unser Horrorszenario: Die indischen Mädchen hüpfen mit ihren perfekten Frisuren und ihren hübschen Punjabidresses die Felsen hinauf – grazil wie Antilopen (Auch wenn die nicht in den Bergen wohnen. Sind aber grazil. Steinböcke klingt doch komisch, oder?). Die Jungs brüllen ihre Sprüche, haben immer ihre schicke Sonnenbrille auf und klettern an den gefährlichsten Steigungen herum – à la Shah Rukh Khan. Die Social Worker und Ujjwala singen lustige Lieder, machen Späße und lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Keinem rinnt ein Schweißtropfen über die Stirn, alle sehen so aus, als wären sie gerade im Wellnessurlaub.

Und dann kommen wir. Knallrot, der Schweiß trieft von uns herunter. Wir lassen keine Stolperfalle aus und bleiben mit unseren Rucksäcken überall hängen. Um 22 Uhr kommen wir dann endlich auch an – 6 Stunden nach den Langsamsten.

Zum Glück haben wir uns ein bisschen geirrt.

Um Sechs Uhr morgens versammeln wir uns alle und steigen in die Busse. Wir mit dem Staff in einen Kleinbus, die restlichen 65 in einen Großen. Während der ca. fünfstündigen Fahrt wurden wir von Ujjwala mit Sandwiches verköstigt.
 
Ujjwala! Sie war so aufgeregt und hat sich richtig gefreut! SOOO NIEDLICH!
 

An der Base angekommen, bleibt uns erst mal der Atem weg: DA sollen wir hoch? Wie soll das gehen? Das ist doch viel zu weit! Und viel zu hoch! Das schaffen wir niemals!

 

Glücklicherweise gab es erstmal ein kleines Mittagessen, während wir auf den wesentlich langsamen Bus mit den Sponsorships warteten- und dann geht’s los: ein letztes Mal Pipi, Wasser auffüllen, Rücksäcke festschnallen und ab.

 
Henkersmahl

 
Letzte Instruktionen

 
Ziemlich gut, dass wir unser eigenes Wasser für den Aufstieg mitgebracht haben

Die ersten 20 Minuten waren grausam. . Die Sonne brannte erbarmungslos auf uns herunter, kein Lüftchen wehte.  Wir sahen genauso aus, wie wir uns das vorgestellt hatten. Und die Inder? Die haben tatsächlich auch geschwitzt! Nach 10 Minuten gab es die ersten Sitzer, wir aber haben die Zähne zusammen gebissen und haben uns nicht einmal hingesetzt, denn wer sich einmal hinsetzt kommt so schnell nicht wieder hoch. Nach 30 Minuten ging es zum Glück einfacher: die Strecke war zwar sehr viel steiler, aber durch die Bäume hatten wir Schatten. Nach und nach hat sich die Gruppe auch aufgelöst, sodass Isa und ich nur von Sayalee, Nishas Tochter, begleitet wurden. Es war herrlich, denn so konnten wir uns unser eigenes gemütliches Tempo aussuchen und so oft Pause machen, wie es nötig war. Nach ca. 1 ½ Stunden kamen wir auf ein Plateau. Von dort aus konnten wir unser Lager für die Nacht sehen. Und leider auch den Weg, der zu ihm führte. Von laufen konnte keine Rede mehr sein: Wir kletterten Steinbrocken um Steinbrocken höher, nur um zu der asozialsten Erfindung der Menschheit zu kommen: Treppen. Stufen über Stufen, entlang an steilen Abgründen, gesichert nur durch ein loses Metallgeländer. Und trotzdem: Für die Aussicht hat sich einfach jeder Schritt, jeder Schweißtropfen dreimal gelohnt. Wir waren überwältigt, mussten immer wieder stehenbleiben, weil wir uns nicht satt sehen konnten (und weil unsere Füße Pause und unsere Kehlen Wasser brauchten).

 
Ganz schön stark, oder?



 
Yeah, die erste halbe Stunde geschafft und wir leben noch!




 

Nach nur drei Stunden erreichten wir dann unser Ziel: einen alten Tempel, in dem wir Unterkunft finden konnten. Doch lange konnten wir uns nicht ausruhen: Mit Kamera und Wasser bewaffnet marschierten wir in der geschlossenen Gruppe nochmal los, um den Sonnenuntergang zu betrachten. Nach einigen Orientierungsschwierigkeiten kamen wir dann tatsächlich zu den Ruinen des Forts (oder zumindest ein Teil von denen, denn das Fort war über den ganzen Berg verteilt). Die Aussicht war gigantisch und der Sonnenuntergang zwar nicht so spektakulär, wie wir uns das erhofft haben, da er durch den Nebel ein bisschen getrübt wurde, aber die Stimmung war einfach so harmonisch und gelöst, dass man sich nicht anders als wohl fühlen konnte. Zusammen mit zwei Mädels saßen wir im Gras und haben ein wenig herumgeblödelt.
 
 
Isabell und ich haben uns über diese "männlichen" Poser totgelacht!
 
 
Ich habe auch super viel gefilmt, den größten Teil bekommt ihr aber erst zusehen, wenn ich wieder zu Hause bin.




 
Tadaaaa! Wir habens bis zum Lager geschafft!







 
Was kann man dazu noch sagen?
 

 
Ein Teil der Schutzmauern


 
Rumalbern
     

Zurück beim Nachtlager, machten die Jungs dann ein Feuer, welches sie mit Plastikflaschen anzündeten. Isa und ich haben es versucht zu verhindern, aber Frauen haben leider wirklich nichts zu sagen. Trotz des Plastiks loderten die Flammen nicht zu vollster Zufriedenheit und ein Junge kam auf die Idee, mit etwas Kerosin nachzuhelfen. Als er die Flüssigkeit dann ins Feuer gießt, wird die Flamme wider Erwarten kleiner:  Er hat die Flaschen verwechselt und aus Versehen Wasser ins Feuer gekippt.  Am Lagerfeuer haben alle dann ganz witzige Marathilieder gesungen und ich habe ein paar Kontakte knüpfen können. Nach dem Essen sind wir dann ziemlich direkt schlafen gegangen, die Mädchen wurden jedoch ausquartiert und mussten in einem anderen Haus schlafen. Die Meisten legten sich bloß ein Laken auf dem Boden und deckten sich auch mit diesem zu. Mir war es unangenehm, nicht auf den Luxus einer Yogamatte, einem Schlafsack und einem aufblasbaren Campingkissen verzichten zu können.  Aber ich bin im Nachhinein trotzdem froh, die Matte als Schutz vor der gemeinen Kälte aus dem Steinboden zu haben, denn am Morgen war es sehr kalt. So kalt, dass ich das erste Mal meine Fleece Jacke angezogen habe!

 
Der Tempel, in dem die Jungs geschlafen haben, wurde noch mit schönen Öllämpchen beleuchtet  - wegen Diwali


Nach dem Frühstück ging es weiter nach oben, wir wollten unbedingt alle Reste des Forts sehen! Mit viel Anstrengung haben wir es dann nach oben geschafft um die atemberaubende Landschaft zu sehen. Wir haben viele Fotos gemacht und auch die Sponsorships wollten welche mit uns machen. Weiter sind wir dann zu einem Loch gelaufen, in welches man reinklettern und von beiden Seiten den Ausblick genießen konnte.
 
Morgenrunde


 
Frühstück: Pohe - das ist gepresster Reis, angebraten mit Gewürzen und Erdnüssen. Sehr lecker!
 
 
 

 
Ich HASSE Treppen!
 
 
Isabell und ich mit dem für uns wichtigesten Menschen hier in Indien: Ujjwala
Unsere Chefin, Ersatzmutter, Krankenschwester, Psychologin, Ratgeberin, Dolmetscherin, Verhandlungsführerin.... WIR LIEBEN DICH, UJJWALA!


 
Am höchsten Punkt angekommen!

 
Wir lieben Rajgad!



 
Das Loch..

 
Da oben sitzen wir :)

 
Und wieder runter, aber immer slowly, slowly!

 
Die Sonne war  definitiv fieser und sie hat uns erbarmungslos gebrutzelt. Jedoch haben wir es zurück in Lager geschafft, wo wir einen kleinen Snack zu uns nehmen konnten. Isa und ich hatten absolut keinen Appetit auf die fettigen und sehr süßen Gebäcke und so waren wir umso glücklicher, als Vrunda uns ihre Äpfel schenkte. Die Inder fanden es ziemlich seltsam, dass wir die Äpfel sorgfältig geschält haben und auch unser Wasser mit Isas Wasserentkeimer behandelt haben. Aber nachdem wir erklärt haben, dass wir ganz schnell einen „stomach upset“ bekommen, hatten sie Verständnis.
 Ja ja, diese Europäer mit ihren empfindlichen Mägen!

 Der Abstieg war zum Glück schnell bewältigt und bis auf einen kleinen Sturz von mir auf den Allerwertesten (es war wirklich steil und ich bin auf diesen miesen Steinchen ausgerutscht!) ohne großen Ereignissen. Nach einem guten Lunch haben wir uns noch eine Sprite gegönnt und einen Inder kennengelernt, der ein halbes Jahr in Deutschland gelebt hatte und dafür wirklich sehr gut deutsch sprach.
 

Während der Busfahrt haben wir ein wenig geschlafen und den Film „Chennai Express“  geguckt. Gegen 21 Uhr kamen wir dann im BSSK an und haben ein neues Baby begutachtet. Zu Hause habe ich mir die längste Dusche meines Lebens gegönnt. Es tat so gut, die Klamotten nach zwei Tagen dauertragen ausziehen zu können.

Ich kann jetzt sagen, dass ich so einen Marsch tatsächlich durchhalten kann und auch noch Spaß dran habe. Es ist zwar anstrengend, aber man sieht so wunderschöne Sachen, lernt neue Menschen kennen und verzichtet mal auf den Luxus. Ich bin sehr stolz, dass ich das geschafft habe und glücklich, nicht gekniffen zu haben. Ich habe mir einmal mehr bewiesen, dass ein starker Wille entscheidender ist als die körperliche Ausdauer.
Und jetzt steht der Besteigung des Mount Everests auch nichts mehr im Wege. Wie war das nochmal mit den Visabestimmungen für Nepal?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen